Was ist Leben?, Stipendiatenkolleg der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. vom 6. bis 11. Juni 2011
zus. m. Francesca Michelini, Ankündigung
›Leben‹ stellt seit der Antike nicht nur eine naturwissenschaftliche Kategorie zur Auszeichnung bestimmter Naturgegenstände dar, sondern war immer auch ein zentraler Begriff zur menschlichen Selbstbeschreibung. Über die Biologie hinaus beanspruchen daher auch kulturwissenschaftliche Disziplinen den Begriff für sich (so dass ein Berliner Theologe jüngst auch sein Fach als eine "Lebenswissenschaft" deuten konnte). ›Leben‹ ist daher eine Kategorie, die von keiner wissenschaftlichen Disziplin erschöpfend behandelt werden kann. Relativ zu den bestehenden Disziplinen markiert er eine Leerstelle, die von ihnen nur umrandet, nicht aber ausgefüllt werden kann: Die eine "Lebenswissenschaft" gibt es nicht und kann es nicht geben. Zur Vielschichtigkeit und auch Unklarheit des Lebensbegriffs trägt darüber hinaus sein offensichtlicher normativer Gehalt bei. Im Medium des Lebensbegriffs werden einerseits Gegenstände und Prozesse der Natur nach Maßgabe menschlicher Verhältnisse modelliert und andererseits kulturelle Phänomene nach der Vorbildlichkeit der Natur gewertet. ›Leben‹ und die Beschreibungen und Erklärungen, die es zu erfassen suchen, sind daher ein prädestinierter Gegenstand für eine interdisziplinäre Auseinandersetzung.
In dem Seminar werden die einflussreichsten Interpretationen des Lebensbegriffs von der Antike bis zur Gegenwart nachvollzogen. Wichtige Stationen bilden dabei der Lebensbegriff bei Aristoteles, die Maschinentheorien des Lebens im 17. und 18. Jahrhundert, Immanuel Kants Theorie des Organischen, die Lebenskraftlehren des 18. und 19. Jahrhunderts, das Verständnis des Lebensbegriffs im Rahmen von Evolutionstheorie und Genetik, die moderne Interpretation des Lebens als ein Phänomen der Selbstorganisation der Materie und naturphilosophische Interpretationen des 20. Jahrhunderts durch Henri Bergson, Helmuth Plessner, Hans Jonas und andere. Auch mit dem Problem der Erzeugung künstlichen Lebens und mit der Frage, ob der Lebensbegriff ein Wertbegriff darstellt, werden wir uns auseinandersetzen. Das Seminar bietet damit insgesamt eine Einführung in die Geschichte und Aktualität eines wichtigen Begriffs und soll dabei heutige Ansätze und Methoden philosophischen und kulturwissenschaftlichen Arbeitens demonstrieren.